Wenn Kinder trauern | BLOG
Ich kam genauso wie andere Kind auf die Welt – glücklich, fröhlich, einzigartig.
Ein Jahr später begann durch den Tod meines Bruders der emotionaler Supergau. Der nicht besser wurde durch den Tod meines Stiefbruders 2 Jahre später.
Ich wurde nicht mehr gesehen. Nicht mehr wahrgenommen.
Weil meine Eltern komplett überfordert waren. Weil sie mich liebten und mich schützen wollten. Der Tod wurde verschwiegen. Unterdrückt. Und man glaubte, Kinder bekämen nichts mit. Weil ich eben trotzdem noch fröhlich war. Weil ich mich bemühte, meinen Eltern nicht noch mehr Kummer zu bereiten. Weil ich brav war.
Und ich habe dann Jahrzehnte gebraucht, um mich selbst zu erkennen, zu lieben und zu schätzen.
Es geht nicht um Schuld!
Es geht um Wissen.
Denn trotz aller Erkenntnisse heute im Jahr 2020 glaubt immer noch die überwiegende Anzahl der Erwachsenen, dass Kinder nicht trauern. Oder weniger. Dass sie nicht so viel Zuwendung bräuchten, weil sie doch immer wieder lachen können. Oder sie glauben, dass sie uns vor der Trauer schützen müssten. Dass sie uns doch bloß nichts als Kind „zumuten“ dürften.
Sowohl das eine als auch das andere ist einfach nicht wahr. Kinder sind sehr emotionale Wesen, die sehr wohl und schon mit wenigen Monaten Verlustängste fühlen. Trauer ist eine gesunde Reaktion auf einen Verlust. Was Kinder besonders gut können, ist, mit ihren Gefühlen umgehen. Sie springen in „Trauerpfützen“, wenn es dran ist. Weil sie im Hier und Jetzt leben. Weil sie ihre Gefühle zum Ausdruck bringen, durch ihr Gefühl gehen. Um dann von einer Minute zur anderen wieder hinaus zu springen.
Heute nennt man das „achtsamer Umgang mit Trauer“. Es ist richtig und heilsam.
Diese Fähigkeit verliert sich mit den Jahren. Durch mehr Ratio und Prägung im Außen.
Wir brauchen Kinder nicht schützen. Kinder sind so viel stärker als wir glauben. Kinder wollen lernen, wie es geht, das Leben. Dazu gehört auch der Umgang mit Schmerz. Wir können uns im Leben nicht vor dem Schmerz schützen. Aber wir können ihnen zeigen, was helfen kann. Wie umgehen mit dem Schmerz. Was ist Trost. Was ist Liebe. Was ist Hoffnung. Kinder wollen lernen, wie sie selber damit umgehen können. Kinder stellen Fragen und brauchen Antworten.
Kinder fragen immer nur das, was sie aushalten können. Und Kinder spüren jede Unsicherheit, jede Lüge in unseren Antworten.
Was bleibt, wenn Kinder nicht gesehen, „geschützt“ und in ihren Bedürfnissen nicht wahrgenommen werden? Sie sind traumatisiert. Sie lernen, dass man keine Antworten bekommt. Sie lernen, dass nichts hilft. Sie machen ihre Herzen zu. Sie lernen vor allem nicht, was gut für sie ist.
Daraus entstehen Erwachsene mit massiven Verlustängsten. Erwachsene, die nur sich selber und nicht dem Leben vertrauen. Die über das Ausüben massiver Kontrolle glauben, alles im Griff zu haben. Die die Liebe nicht mehr wirklich zulassen. Sie bekommen Depressionen, Burnout. Sie sind gut in Ablenkung – Arbeit, Alkohol, Essen.
Die gute Nachricht ist: alles kann heilen! Wenn wir uns unserer selbst bewusst werden. Wenn wir uns dem Thema stellen. Wie Zähne putzen. Hey, du hast Angst? Okay, wir schauen was dir hilft, die Angst anzunehmen. Du bist traurig? Lass uns schauen, was dich jetzt trösten kann.
Das, was Kindertrauer braucht, sind ehrliche authentische Bezugspersonen. Den Mut, Gefühle ins Leben zu lassen. Tränen, Liebe und eine Umarmung. Das Sehen und Gesehen werden aller unterschiedlicher Bedürfnisse. Das ernstnehmen der Kindheit in all ihren wunderbaren Facetten.
Kinder wollen lernen. Sind wir ihnen gute Lehrmeister. Und sie uns.
„Hurt people hurt people“. Heilung beginnt in uns.