Rituale auf dem Trauerweg | BLOG

Bei und gibt es an feierlichen Tagen ein wunderbares Ritual: zum Essen kommt das jahrzehntealte Leintischtuch meiner Schwiegermutter auf den Tisch. Plus das ziemlich bunte Lieblingsgeschirr meiner Mama aus der Hochphase der 70er Jahre. Und zur Krönung eine uralte Zinnvase meines Vaters.

Nicht, weil ich es besonders chic finde.

Sondern weil das Wesen, der Geist unserer verstorbenen Eltern dann mit dabei sind. Ihre Gedanken, Wünsche und Träume, die in diesen Dingen stecken. Ihr Erleben. Und all das, was sie uns mitgegeben haben.

Weil wir uns gerne erinnern. Weil wir schätzen, dass sie uns unser Leben geschenkt haben.

Beim genauen Blick auf das Tischtuch ist mir noch viel mehr in den Sinn gekommen.
Ein Sinn… über ihr Leben. Welche Bedeutung damals so ein Tischtuch hatte. Es war etwas Besonderes. Gute Qualität. Aussteuer, vielleicht. An einigen Stellen bestickt. Von ihr so oft in die Hand genommen, gestärkt, geplättet. Es hatte für sie sicher eine andere Bedeutung, als ein Tischtuch heute für uns hatte.
Einerseits.
Andererseits…
Ist die Bedeutung für uns genauso.
Uns verbindet die Qualität der Gedanken. Das Besondere unserer Erinnerungen. Die Präsenz des Augenblicks. Das ist das Besondere, das Wertvolle für uns heute.

Es macht mich traurig, dieser Augenblick.
Und es lässt mich die Verbindung spüren, die wir immer noch haben und die uns immer bleibt.

Ich bin dankbar, für beides.
Ich liebe diese Rituale der Erinnerung

.
Rituale verbinden. Rituale geben Halt. Sie formen unseren Alltag. Sie lassen uns in den Zwischenräumen Neues erleben, übermütig sein, beweglich sein. Rituale bringen uns auf den Boden. Als Familie, als Einzelperson. In unserer Gesellschaft.

Für Kinder sind Rituale überlebenswichtig – sie sind darin eingebettet, solange sie unser Zeitverständnis noch nicht übernommen haben. Es schenkt ihnen Sicherheit. Und wenn wir Kinder ganz frei beobachten, sehen wir, dass sie oft die immer gleichen Rituale einfordern. An der Stelle sind Kinder sehr konservativ 😉 und brauchen gar nicht so viel Neues, wie Eltern manchmal denken.

In allen Zeiten des Wandels halten wir uns so gern an Ritualen fest, die uns dann sagen: irgendwas bleibt, auch wenn alles geht.

In der Arbeit mit meinen Klienten ist Ritualfindung auf einem langen Trauerweg ein heilsamer Bestandteil. Und die dürfen sich dann auch gerne neu erfinden. Sie dürfen einen neuen Lebensabschnitt mitformen. Dann sind „alte Rituale“ manchmal angstbesetzt ( „…das ertrage ich jetzt nicht mehr“) und an diese Stelle können wir wunderbar kreativ neue Signale, neue Eckpunkte setzen. Positive Erinnerungen schaffen. Die uns im Rückblick trösten. Die an die Stelle des Unfassbaren und Unbegreiflichen etwas Positives setzen. Dann sind Rituale sinnvoll, nicht sinnentleert.

Und dann entdecken wir unsere Schöpferkraft. Unser Potential. Unsere Handlungsfähigkeit.

Dann ist Trauer auf einem heilsamen Weg. Alles ist in uns.